02.02.2007

Modelleisenbahn und Autismus

Neben der Spur mit Auf kleiner Spur

Fernsehmuseum: Magazine, Ratgeber

Seitdem die Privaten auf Sendung sind, ist das TV-Programm auch der Öffentlich-Rechtlichen zu einer abgehalfterten Peepshow mutiert. Und die Anstalten dahinter führen sich auf wie nekrophile Stricher-Nutten, die nicht einmal mehr wissen, was das Wort „Schamgrenze“ wohl bedeutet haben mag. Aber dann schaltet man den MDR ein und weiß, dass es noch Oasen gibt. Kleine Ruhebuchten abseits des alles verschlingenden Malstroms. Ein solch blinder Fleck ist das Modellbahnmagazin Auf kleiner Spur. Alle paar Wochen entführt Moderator Robby Mörre die Zuschauer in eine Welt zwischen HO, N und TT – was hier noch für die Spurbezeichnung der DDR-Modellbahn steht und nicht etwa „Titten-Torture“ oder „Stickstoff-Slammen“.

Man besucht Einzelkämpfer und Bastelclubs, die ihr Leben ganz der Nachbildung einer Landschaft oder einer Zeit verschrieben haben. Geduld und Fingerfertigkeit sind die wichtigsten Tugenden in diesem Kosmos – unendlich weit entfernt von der Sehnsucht nach Instantergüssen bei den Findelkindern der MTV-Generation. Das „Magazin nicht nur für Nietenzähler“, wie es im Untertitel heißt, mutet für das dauergewaschene und -geschleuderte Gehirn bizarr an, aber es gibt viel zu entdecken …

Zum Beispiel eine interessante Parallele: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Modellbahnanlagen in Bahnhöfen fast immer nur von Männern umringt werden? Das zumindest haben Modellbahnfreunde mit Autisten gemein. Es sind weitaus mehr Jungen als Mädchen, die Kursbücher auswendig lernen. Und innerhalb der Autisten gibt es noch einmal die spezielle Gruppe der Inselbegabten – die so genannten Savants. In einer faszinierenden Doku sehen wir diese „Wissenden“, die über Fähigkeiten weit jenseits jeder Vorstellung verfügen. Savants können ganze Städte aus der Erinnerung nachzeichnen oder zwei Bücher mit je einem Auge parallel lesen – aber teils nicht einmal selbst die Schuhe zubinden. Wissenschaftler und Psychologen hoffen, durch die Untersuchung dieser „Defekte“, ein schlüssiges Modell von der Funktionsweise des „normalen“ Gehirns zu gewinnen.

Währenddessen schaffen andere Leute andernorts ihre ganz eigene Welt, indem sie weiter fleißig an ihren Modellbahnanlagen bauen. Huldigen wir also dem Gehirn, das all dies hervorbringt!

Aus der reproducts-Sammlung »Modelleisenbahnanlagen in Bahnhöfen«: