Sippen in Traumhaft
Lieber Onkel Bill vs. 3 Mädchen und 3 Jungen
Fernsehmuseum: Serien: Familie

In dieser Ausgabe stellt das Fernsehmuseum zwei Familienserien der späten 60er bzw. frühen 70er Jahre gegenüber. Allerdings handelt es sich in keinem Falle um das typische Abbild der idyllischen Kleinfamilie mit ihren täglichen Problemchen.
In einer Zeit, als durch politische und soziale Auseinandersetzungen das Wertegefüge der westlichen Gesellschaft erschüttert wird, reagiert das Medium Fernsehen im Genre der Familienserie auf ganz unterschiedliche und eigenwillige Weisen.
In Lieber Onkel Bill besteht die Familie aus einem kleinen Geschwisterpaar, Buffy und Jodie, und ihrer schon siebzehnjährigen Schwester Cissy, die ihre Eltern bei einem Unfall verloren und nun bei ihrem Lieben Onkel Bill und dessen Butler Mr. French aufgenommen werden. Der konservative bis reaktionäre, aber immer verständnisvolle Onkel Bill, lenkt die Geschicke der Kinder und den Strom der neuen Zeit in die richtigen Bahnen und gibt ihnen in jeder Folge eine Lektion fürs Leben mit.

In 3 Mädchen und 3 Jungen (The Brady Bunch) setzt sich die Familie aus je einem alleinerziehenden Elternteil mit je drei Kindern desselben Geschlechts zusammen, die dann alle zu einer Großfamilie fusionieren. Sie wohnen in einem schönen, modernen Haus (das sogar über eine - welch Revolution! - Durchreiche von der Küche zum Wohnzimmer verfügt) und signalisieren durch die Wahl der Probleme und der Kleidung in jedem Moment Aufgeklärtheit und Modernität. Ein Versuch also, in einer Zeit des Wechsels sozialer Werte den Begriff der Familie und das Rollenverhalten ihrer Mitglieder neu zu definieren.

Am deutlichsten unterscheiden sich die beiden Serien in der verschiedenartigen Thematisierung von Sexualität.
Im Hause von Onkel Bill existiert dieses Thema nur in der Negation. Der Mann in den besten Jahren wird zwar anfänglich als ziemlich schlimmer Finger dargestellt – „Bohringenieur, immer auf Achse, kann sich nicht um Kinder kümmern...“ –, aber so genau fragt man lieber nicht weiter, denn dann müsste man auch das Thema streifen, warum er tagein, tagaus mit dieser bärtigen Matrone zusammenhaust. Die 17-Jährige Cissy hat dafür wie Barbie das Modul „Geschlechtsteil“ nicht mitbekommen – pubertäre Konflikte werden folglich sehr abstrakt abgehandelt. Das schärfste, was man hier zu sehen bekommt, ist ein freundlicher Klaps zum Gute-Nacht-sagen von Onkel Bill auf Cissys Hintern und das Einatmen ihres Duftes, wenn er die Hand darauf sofort unter seine Nase hält.
Die Bradys dagegen sind voll in den 70ern und ganz weit vorne. Vater und Mutter Brady schmusen ungeniert. In jeder Folge liegen sie irgendwann im Bett und machen dem Zuschauer unmissverständlich klar, dass sie jetzt gleich nach dem Löschen der Nachttischlampe ihre Alltagssorgen einfach wegficken werden. Zudem lässt die Familienstruktur den Gedanken an einen völlig problemlosen, legalen Inzest aufkommen – schließlich stammen die Kinder jeweils aus verschiedenen Familien. Dennoch wirkt der Fleischkäse der treuen Haushälterin Alice keinen Deut weniger natürlicher als die lockere Leidenschaft, die hier vorgespielt wird.
Brian Keith, der Darsteller des Onkel Bill, erschoss sich 1997 75-jährig, weil er sein vom Lungenkrebs zerfressenes Leben nicht mehr ertragen konnte. Anissa Jones, die kleine Buffy, starb 18-jährig am 28. August 1976 an einer Überdosis aus Uppern und Downern. Buffys Bruder Jodie, Johnnie Whitaker, war so geschockt von diesem Unglück, dass er in Depressionen verfiel und die Schauspielerei aufgab. Heute coacht er Kinderdarsteller. Robert Reed, Familienoberhaupt Mike Brady, der seine Rolle laut Insidern immer gehasst hatte, starb 1992 an den Folgen seiner HIV-Infektion. Es war dem amerikanischen Krawall-Talker Geraldo Rivera zu verdanken, dass die Öffentlichkeit den Totenschein des Arztes zu sehen bekam und dieses von Reed so peinlich gehütete Geheimnis offenbar wurde.