Kein Entkommen, nirgends!

Kommissar Keller – Der Kommissar einer Volksseele

Fernsehmuseum: Serie: Krimi

Um drei Jahre nach Einführung des Farbfernsehens in Deutschland eine Schwarz/Weiss-Serie zu starten, bedarf es einer gewissen Blindheit gegenüber den Zeichen der Zeit, oder aber einfach des richtigen Riechers. Neben Derrick (ebenfalls von Herbert Reinecker erfunden und 281 Folgen im Alleingang geschrieben) war keine deutsche Serie so von Erfolg gekrönt wie Der Kommissar.

1970: Die infektiösen Überreste der Studentenrevolte sind tief in den Volkskörper eingedrungen und haben mittlerweile fast alle Organe befallen. Nur das Hirn, mit der konservierenden Kraft der Trägheit und des Starrsinns gesegnet, erwehrt sich der Angriffe bisher erfolgreich. Denn viel zu schnell vollzieht sich der gesellschaftliche Wandel, als dass das Bewusstsein sich durch das Sein prägen ließe. Folgerichtig entstehen Konflikte, die dem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Wertesysteme im antiken Drama in nichts nachstehen: Söhne erschlagen Väter, oder Töchter werden erschossen, um sie vor der Schande zu schützen.

Und hier ist der Punkt, an dem Kommissar Keller die Szene betritt: Klein, unscheinbar, eher als Nebenfigur angelegt. Flankiert von einem Team erfahrener Ermittler ist es seine schwere Aufgabe, die Psyche derer offen zu legen, die den Kontrakt zwischen sich und der Gesellschaft aufgekündigt haben und zu Tätern geworden sind. Keller hört ihnen geduldig zu und erhebt seine Stimme nur in den seltensten Fällen. Im Zweifelsfall schweigt er mit seinem Gegenüber so lange, bis dieses die Stille nicht mehr ertragen kann und von selbst zu reden beginnt. Er will verstehen. Ohne zu werten. Aber er führt die Täter ihrer Strafe zu. Um ihres eigenen und des Heils der Gesellschaft willen.

Kommissar Keller ist der Therapeut der deutschen Seele. Er hat den Alptraum des Dritten Reiches miterlebt und findet sich genauso in der in radikaler Umwälzung befindlichen Bundesrepublik zurecht. Eben ganz genau so wie sein Erfinder Herbert Reinecker. Dessen Vergangenheit im braunen Jahrtausend ist, jedenfalls nach dem verlorenen Krieg, alles andere als rühmlich. Völkisch-nationale, heroische Durchhaltewerke ratterten damals aus Reineckers Schreibmaschine. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass Reinecker nach 45 ernsthaft davon überzeugt war, einen Fehler gemacht zu haben. An dem er sich dann bis zu seinem Tode im Jahr 2007 schreibend abarbeitete. Die destruktive Kraft Faschismus hatte alles mit Tod getränkt, und so ist es nur folgerichtig, dass die Aufräumer aus der Schar der übriggebliebenen Täter-Opfer Namen tragen wie Klein, Keller, Grabert und Heines. Das Trauma, das das Team in jeder Folge neu auflösen sollte, blieb dasselbe. Der Variationsreichtum in der drehbuchtechnischen Verkleidung kannte kein Ende. Und der durchgehende Erfolg des Kommissar beim Publikum lässt eindeutig darauf schließen, dass er einen kollektiven Nerv getroffen hatte.

Wir zeigen zwei ausgewählte Folgen der Serie Der Kommissar: Walter Sedlmayer als prügelnder Patriarch in einer klaustrophobischen Kneipe auf dem Lande, sowie den jungen Götz George als charmanten fahrradfahrenden Zuhälter im Wolfspelz. Abgerundet wird das Programm durch ein Kommissar-Potpourri-Praliné mit Schuss.