04.04.2006

HBO weist dem Fernsehen die Zukunft

Rummel zwischen Himmel und Hölle – Carnivalé

Fernsehmuseum: Erinnerungen an das gute TV

Und wieder sattelt das Fernsehmuseum die Pferde und zurrt die Planwagen zusammen, um nach Westen zu ziehen. In den USA werden wir fündig und bringen die Wunderschätze zurück: die ersten beiden Folgen der Serie Carnivàle (2003) aus der Qualitäts-Schmiede HBO, die schon jetzt ihren Platz auf dem Olymp der besten Fernsehserien aller Zeiten erobert hat.

Dustbowl Oklahoma 1934. Massen von Farmern verlieren ihr Land durch gigantische Sandstürme, Missernten und verbrecherische Großbanken. Zu Tausenden machen sie sich mit ihrer letzten Habe auf ins gelobte Land Kalifornien. Oder sie bleiben und fressen Dreck. Vor diesem Hintergrund zieht der magische Wanderzirkus Carnivàle durch die apokalyptische Landschaft. Und mit ihm der 18-jährige Ben Hawkins, der über verhängnisvolle Wunderkräfte verfügt. Sein Gegenspieler ist der durch schuldgetränkte Visionen geplagte Evangelisten-Prediger Justin Crowe. Und alles formiert sich zum finalen Kampf zwischen Gut und Böse.

Jenseits eines Steinbeckschen Realismus´ à la „Grapes of Wrath“ wird hier der Versuch unternommen, direkt in die Psyche dieser Zeit einzutauchen und eine "mental history" der Epoche der Großen Depression zu zeichnen. Es entfaltet sich ein greller und gewaltiger Bilderbogen aus Magie, Horror, Finsternis und Gewalt, der am Ende in die Zündung der ersten Atombombe in Los Alamos mündet.

Diese Serie ist das seit langer Zeit größte Wagnis, das ein Fernsehsender eingegangen ist – und das wird wahrscheinlich sehr lange so bleiben. Die durchschnittlichen Produktionskosten von 8 Millionen Dollar pro Folge kann man jeder Einstellung dieses wie einer Kinoproduktion anmutenden Werks ansehen. Die Serie war auf 6 Staffeln à 12 Folgen angelegt. Nach Ausstrahlung der zweiten Staffel wurde sie aus Mangel an Werbeeinnahmen abgesetzt. Was bleibt, ist ein auf Anhieb süchtig machender düsterer Trank, dessen Delirien immerhin 24 Stunden währen.