Das Jahr 1977 - No Future for Glam Rock

2007
Multimedia-Performance, 90 Minuten

Finnische Krimi-Videos, nachkolorierte Kur-Postkarten, Scans von Brötchentüten, selbstgemalte Elvis-Plattencover, von Hausmeistern geschriebene Hinweisschilder, Selbstportraits aus Sexforen und Tausend andere ebenso absurde wie archivierungswerte Fundstücke – sie sind der Stoff, aus dem reproducts filigrane Albträume für das Publikum webt. Begleitet vom Elektronikgeglucker verwunschener Stromquellen wandeln wir hier durch die verwahrlosten Kneippbecken der Zeit und betrachten amüsiert, was wir aus den dunklen Wassern ziehen:
Zum Beispiel das 1977 - ein Jahr, in dem der Glam Rock plötzlich keine Zukunft mehr hatte …

2007, wir blicken zurück: Deutschland vor 30 Jahren – das Ende eines Aufbruchs. Die Assoziationsketten um diesen Herbst in Deutschland sind massenmedial so eingeübt und festgeschrieben, dass jeder die Schlagworte im Schlaf herunterbeten kann. Wir nähern uns dem Schicksalsjahr der zunehmend in Schlüsselpositionen sitzenden Generation deshalb auf eine radikal andere Weise. Anhand eines zersplitterten Fragmentariums absolut persönlicher Reflexe aus unbekannten künstlerischen Arbeiten dieser Zeit bündeln wir die Irrlichter der Einzelnen zu einem Brennstrahl der Gefühle und Gesten – und schneiden durch die Sedimentschichten der Erinnerung in das Jahr 1977.

Im Zentrum steht ein Fund auf dem Dachboden der Hamburger Kunstschule: eine Kiste mit 3 Diakästen, ein paar Super-8-Tonfilmen und ein schriftliches Gutachten eines Kunsthistorikers zu den Bildserien. Die – namentlich nicht erwähnte – Künstlerperson hatte sich mit diesem Material an der Schule beworben und nach der Ablehnung versucht, die Aufnahme einzuklagen. Der hinzugezogene Sachverständige fertigte eine kunsthistorisch-psychologische Analyse der 3 Serien (die Zerstörung eines Fallerhäuschen-Dorfes, u.a. Säure mit behandelte Schnappschüsse einer Familienfeier sowie junge Frauen, die nachts am Strand oder im nebligen Moor vor geometrischen Objekten aus Glitzerfolie posieren) an und ermöglicht uns den Blick in einen modischen Spiegel jener Zeit mit ihren Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen. Die intimen, pubertären, weltschmerzigen Bildwelten eines verwirrten jungen Menschen erschließen so einen höchst persönlichen Zugang zu jenen wirren Tagen, als der Punk gerade im Geburtskanal der Zeit steckte.

Kontrapunktiert und ergänzt werden die Bilder-Serien und ihre Interpretation mit Ausschnitten aus zeitgenössischen TV-Serien, Aktenzeichen XY, Super-8-Videoclips mit Hits des Jahres 1977 und einer Ausstellung der Volksbank aus dem Jahr 1977 – Junge Menschen malen ihr Lieblingsplattencover.

1977 ist nicht nur RAF und Rasterfahndung – es ist vor allem das Todesjahr von Elvis Presley … Ab jetzt heißt es: NO FUTURE FOR GLAM ROCK!

Die Veranstaltungen fanden im Dezember 2007 im Abaton Kino, Hamburg, statt.