04.12.2009

Data-Highway to Hell, Vol. II

Wenn das Fernsehen das Netz einspinnt

Fernsehmuseum: Internet und Fernsehen

Ja, das Fernsehen liegt röchelnd auf seinem Totenbett – in einem riesigen Schuppen mit Wänden aus Perlen und Fenstern aus Diamant. Da windet es sich voller Agonie in der Ecke liegend auf ein paar aufgeplatzten Säcken mit Goldstroh, getränkt von Urin und Angstschweiß. Die gesamte ARD-Großfamilie hat sich mit der alten Tante ZDF aneinandergeklammert. Die letzte Kraft nehmen sie zusammen, um die privaten Aussätzigen mit Tritten ihrer lahmen Füße daran zu hindern, mit auf diese bescheidene Siechstatt zu kriechen. Dabei sehen sie sich zum Verwechseln ähnlich, denn sie alle tragen die – heute verblichenen, schmutzigen, löchrigen – grellbunten Fun-Lumpen von einst mit all den Werbe-Medaillen und Sponsoring-Abzeichen für Scham- und Gewissenlosigkeit zu jeder Sendezeit am eisernen Businessbande. Ein fahrender Leichenschänder, der in diesem Pesthaus vorbeischaute, würde beim besten Willen keinen Unterschied mehr zwischen ihnen feststellen können. Nichts als verkrüppelte Körperschaften, die ihre Seele verloren haben. Und irgendwo vor der Tür, auf dem Gottesacker, spielen die ungeliebten Kinder, die man einst zum Schweinehüten aus dem großen Hause verbannt hatte. Sie hören auf wundersame Namen wie Phoenix, BR alpha, Ki.Ka oder ZDF neo (.s Anmerkung unten) und sind die letzten, denen Menschen noch ins Gesicht blicken mögen, zu grausam sind die entstellten Fratzen ihrer Eltern. Aber gut für die Kleinen, denn nun müssen sie müssen das Jammern der Alten nicht so laut hören, die langsam beginnen, die Gründung der Spartensender zu bereuen, weil sie durch die Aufgabe des Anspruchs, für alle Zuschauer da zu sein, schließlich für niemanden mehr da sind.

Doch das Leiden hat bald ein Ende. Bald schon wird dieses Fernsehen als nichts eine Episode in der Mediengeschichte sein wie die Wachswalze. Und seitdem es die nicht mehr gibt, haben die Menschen ja auch nicht aufgehört, zu hören, stattdessen hat sich das Medium transformiert. Die Soziale Plastik des reproducts Fernsehmuseums wusste das schon lange – darum heißt es auch „Museum“ und nicht „Fernsehtruhe“,„Flimmer-Kammer“ oder „TV-Zofe“ – und lässt diesmal Revue passieren, wie sich die Öffentlich-rechtlichen über die Wiege des ulkigen Findelkindes beugten, um zu sehen, wie lustig es strampelt – noch ohne einen Hauch der Ahnung, dass genau dieser Wechselbalg kurz darauf aus seiner Wiege springt und seine rasiermesserscharfen Zähnchen in die Hälse jener gräbt, die es bis dahin belächelt hatten. Zunächst gibt uns das Telekolleg im Jahr 2001 wertvolle Hinweise, wie genau wir in dieses Internet kommen, dann will uns eine Sendung zeigen, dass Lederhose und Laptop schneidig zusammenpassen, bis wir im Jahr 1996 zu später Stunde gemeinsam, live mit Redakteuren und Netscape durch das World Wide Web surfen – und aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen!

(Heute, sieben Jahre später, schämen wir uns bei reproducts für diese unsinnige, realitätsferne, naive, dumme Euphorie, die uns damals kurzfristig ergriffen hatte – insbesondere was die trübe Abnudelstation mit Comedy-Feigenbltt betrifft – die schlimmste Enttäuschung von allen: ZDF neo. Natürlich wurde das genauso ein Scheiß wie der alte Brei, wie wir heute sehen. Leider ist es eben doch so – aus der alten, fauligen Substanz entsteht einfach nichts Gutes, Neues. Es muss alles von Grund auf weg, bevor wir ein neues, fröhliches Polpotpourri auf den Schirmen erstrahlen sehen.)