Die Soziale Plastik Fernsehfriedhof.de findet seit 2017 in Zusammenarbeit mit Abteilung DG in der Z-Bar, Berlin-Mitte statt. Es ist die Wiederauferstehung des Fernsehmuseums, das zwischen 1998 und 2012 monatlich in der Kurzfilmagentur Hamburg und Berlin stattfand. Zweck ist das gemeinsame Schauen und Analysieren von Artefakten aus der Fernseh-Vergangenheit -Gegenwart und -Zukunft.
Die Jahre sind ins Land gegangen und so, wie der Palast der Republik bald ganz verschwunden ist, hat sich ein ganzes Land scheinbar verflüchtigt. Im Alltag schließen die Menschen, die dort gelebt haben, ihre Erinnerungen an diese Zeit in sich ein. Auf medialer Ebene gibt es gewisse kleine Fenster – wahlweise Streichelzoos der Nostalgie und Betroffenheit oder talkshow- bzw. spiegeltvreife Dauerproblemfälle –, in denen der Osten noch Osten ist. Und genau mit diesen kleinen Fensterchen für die Anwesenheit der Vergangenheit in der Gegenwart beschäftigt sich die Soziale Skulptur des Fernsehfriedhof.de. Das wird garantiert Super Illu-ster!
Es musste ja so kommen: Irgendwann waren die wilden Feiertage der Wiedervereinigung vorbei. Der Alltag kehrte in die Beziehung ein. Und Alltag – das ist Arbeit. Im fünften Kapitel der Betrachtungen über den televisionären Wessifizierungsprozess wirft die Soziale Plastik des Fernsehfriedhof.de einen genaueren Blick auf die flimmernde Einführung des neuen Menschenmaterials in die Arbeitswelt des Kapitalismus.
Als Gast begrüßen wir live einen echten Chemnitzer – den Helden, der einer ganzen Generation sächsischer Abiturienten das Studium in den alten Bundesländern ermöglichte! Nötig war dazu eine formale Änderung, die aber nur mit der (damals noch) unendlichen Macht des Fernsehens in diesem Tempo durchgesetzt werden konnte.
Nachdem sich die Soziale Plastik des Fernsehfriedhof.de vor allem mit den materiellen Dimensionen der Emulsion von Ost und West beschäftigt hat, wollen wir uns nun einmal ganz um die Menschen kümmern, allen voran: die einsamen Menschen. Bereits im DFF, dem Nachfolger des DDR-Fernsehens, ist noch während der Wendezeit eine Sendung entwickelt worden, die einsame Herzen zusammenbringen sollte: Je t’aime – Wer mit Wem? Derartige Kuppel-Shows gab und gibt es im Fernsehen immer wieder. Die durchaus bittere Ironie, dass jenes Medium, das die soziale Isolierung des Individuums vorangetrieben hatte wie (zumindest bis dato) kein anderes zuvor, immer wieder genutzt wird, um diese Vereinsamung aufzubrechen, gebiert in jedem TV-Format seine eigene Tragikomik. Was sich jedoch konkret in dieser analogen Dating-App abspielt, ist absolut einmalig, erschütternd und faszinierend zugleich. Es werden ggf. extra weiche Speitüten gereicht, deren flauschige Außenoberfläche mehr Tränen aufsaugen kann als eine Pampers.
Im Jahr 1994 war die gröbste Arbeit getan – die neuen Bundesbürger hatten mittlerweile ihre „echten“ Jeans am Knie durchgescheuert, unter Anleitung von West-Fernsehköchen ihre erste Kiwi unfallfrei geschält und auch bereits ihren ersten Prozess gegen eine betrügerische Zeitschriften-Abo-Firma oder ein windiges Fassadenrenovierungsunternehmen zwar gewonnen, aber ihr Geld natürlich nicht zurückbekommen. So langsam war man also im Westen angekommen. Aber was nun tun mit der neuen Freiheit? Die Soziale Plastik Fernsehfriedhof.de zeigt in dieser Sitzung die Antwort, die das Westfernsehen darauf gegeben hat: Man kann zum Beispiel eine große Fernsehshow als Moderator/Quizmaster leiten! Und wer könnte dafür besser geeignet sein als Wolfgang „Lippi“ Lippert?! Auf jeden Fall war wohl keiner besser geeignet, sich die Demütigungen gefallen zu lassen, die man sich auf dem Lerchenberg für ihn ausgedacht hatte.
Sehr treffend, dass es bei dieser Show damals noch hieß: „zugunsten der ,Aktion Sorgenkind‘“ …
Diese Soziale Plastik FERNSEHFRIEDHOF.DE befasst sich mit einer weiteren televisionären Nebenwirkung des in jeder Form eindringenden Westens in den Osten. Eben auch in Form von Betrügern und Dieben, die ihren Kenntnisvorsprung gegenüber den Neubundesbürgern ausnutzen. Das ruft Eduard Zimmermann auf den Plan und er recycelt das Archiv seines seit 1963 laufenden „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“-Warnmagazins für ein 13-teiliges „Best of Vorsicht Falle“ auf dem DFF. Fast parallel geht auch Kripo Live auf Sendung und macht ebenfalls unmissverständlich klar, dass die neue Konsumfreiheit nicht umsonst zu haben ist.
Getarnte Katachrese: Mediales Tierleben als Spiegel der Seelenlandschaften ihrer Produzenten – am Beispiel von pinken Paradiesvögeln und gefiederten Hooligans
Mit einer szenischen Einführung von Dorothee Daphi
Fernsehfriedhof.de - 13. September 2019, 18 Uhr,
Deichtorhallen Hamburg - Sammlung Falckenberg
Phoenix Fabrikhallen, Wilstorfer Straße 71, Tor 2, 21073 Hamburg-Harburg
Dokumentarfilm ist eine Fiktion – doch wie immer ist dies nur die halbe Wahrheit. Und damit kann sich die Soziale Plastik FERNSEHFRIEDHOF.DE nicht zufrieden geben. Denn Dokumentarfilm ist natürlich auch eine Dokumentation: vor allem des Innenlebens ihrer Schöpfer. Kaum jemand dokumentiert das besser als der alte Tierfilmer-Haudegen Vitus B. Dröscher. Nie wurde der Überlebenskampf in der Fauna packender und frontberichterstattermäßiger geschildert als von diesem Apologeten der Schicksalsbestimmung. Er führt uns ein in die Travestie-Welt der rosa Schönheiten, die mit ihren Lederstrumpfbeinen in der Säurehölle der Salzsees herumstehen, wo sie von „jungen Kampfadlern“ angegriffen werden.
30 Jahre „Wende“ – eine Generation ist vergangen … Die Soziale Plastik FERNSEHFRIEDHOF.DE nimmt dies als Anlass für eine Reise zurück zu den Anfängen, als gewiefte Marktwirtschaftshasardeure den passiven Planwirtschaftsaktivisten gezeigt haben, woher der Wind weht. Aber wie sollten die armen, unerfahrenen Zonis da ahnen, dass sie sich mit der D-Mark neben Echtpelzkrägen, Autos und Fernreisen auch jede Menge Ärger, Müll und menschliche Niedertracht einhandeln?! Tutorials auf YouTube gab es noch nicht – und so schlug noch einmal die Stunde des Fernsehens, das die Neu-Bundesbürger an die Hand nahm, ihnen zeigte, wie man Kiwis richtig isst, warum man aufpassen muss bei Unterzeichnung von Verträgen und wie man sich am Strand richtig anzieht. Oder das magische Auge erzählte zum Einschlafen über den Kreditraten-Plänen wundervolle Märchen – zum Beispiel wie ein Ossi sogar mal eine West-Fernsehshow leiten darf! Pures Fernsehgold! Und genau das wird die Soziale Plastik FERNSEHFRIEDHOF.DE in den nächsten Sitzungen wieder funkeln lassen …
Die Soziale Plastik des Fernsehfriedhof.de wird dort gebildet, wo es wehtut. Und dieses Mal heißt es besonders tapfer sein, denn es wird gebohrt. Ohne Betäubung. Ins Gewissen.
Jörg Kachelmann ist eine streitbare Figur – unbestritten ist, dass er den höchsten Respekt verdient für sein Durchhaltevermögen, das er in der Rettung seines guten Namens bewiesen hat. Und seit 2019 moderiert er sogar wieder bei Riverboat mit! Anlass genug, noch einmal genauer ins Archiv zu schauen. Und dann wird klar: All diese Anstrengungen in Gerichtssälen und Medien aller Art machen nicht ungeschehen, was damals – im Jahre 1999 – passiert ist. Kurz vor der Jahrtausendwende und der Implosion aller Windows-Rechner im Sender wollte der Hessische Rundfunkt die „große Samstagabend-Show“ wiederbeleben, hatte dazu jedoch fatalerweise einen Rettungssanitäter mit dem schwarzen Daumen bestellt: JBK ohne „B“. Eben jener Jörg Kachelmann, der vor allem als Wetteransager bekannte Moderator, sollte die Über-Show des Über-Showmaster Kulenkampff Einer Wird Gewinnen relaunchen. Dazu trommelte der HR offenbar das längst verrentete Team aus den 60ern zusammen, um eine Spielshow zu inszenieren, wie man sie noch nie gesehen hatte. Das wurde dann allerdings eine Show, die niemals jemand sehen sollte. Eine solche Kaskade an Peinlichkeiten und Obszönitäten war eigentlich nicht sendefähig und verschwand sofort im Giftschrank. Doch irgendwie landete eine VHS-Kopie ohne Absender im reproducts-Briefkasten. Wir betrachten das als Bildungsauftrag für eine Soziale Plastik der Sonderklasse im Rahmen des Fernsehfriedhof.de.
Wir fordern aber die Teilnehmer der Sozialen Plastik schon jetzt auf – nicht wie Kachelmann damals nach der haltlos überzogenen Sendung das Studiopublikum, doch bitte in die Blumenrabatten des Sendergeländes zu urinieren – NICHT in das Blumenbeet vor der Z-Bar zu pullern. Danke.
Es war ein einmal … im Jahr 2017, da lief eine „neue“ Krimiserie an, bei der man wieder einmal herzzerreißendes Mitleid mit den Fernsehschaffenden in Deutschland bekommen konnte. X-mal hatte man das schon gesehen, diese bemühte Mischung aus Monk und Dr. House und Sherlock und ihrem Vorfahren Fitz – diesen … nennen wir ihn hier mal „Professor D“. Ein frankensteinsches Ermittler-Monster in Miniaturausgabe, dem leider nur jeder lebendig-kreative Funke fehlte. Pure Sendezeitverschwendung und nicht einmal der namenlosen Urnenfeld-Bestattung auf dem Fernsehfriedhof.de würdig. Doch dann passiert etwas Unglaubliches! Der Autor der Serie wird gewechselt und plötzlich wird dieses Abziehbild eine dreidimensionale Figur mit glaubhafter Tiefe. Und obendrein bewahrheitet sich wieder einmal der Satz, dass jede Kette so stark ist wie ihr schwächstes Glied. So wirkt die schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers auf einmal wieder, wie von ihm gewohnt – als Sidekick von Pastewka oder Engelke: grandios. Die Idee ist endlich eine Figur geworden. Genauso erstaunlich wandelt sich deren Umgebung: Kamera, Schnitt, Musik-Einsatz sind nun von mitunter epischer Wucht. Alle Beteiligten sind mit den neuen Büchern immens gewachsen. Lange nicht gesehen im deutschen TV! Diese Macht der Autoren kann man nicht oft genug betonen. Hier werden die Weichen gestellt. Die Soziale Plastik des Fernsehfriedhof.de lädt daher ein, Zeuge zu werden, wie im Jahr 2018 ein Alchemistentraum wahr wurde. Und das soll uns ein goldenes Menetekel für das Fernsehjahr 2019 sein!
Bei Mission Impossible bzw. Kobra, übernehmen Sie! – Kult-Klassiker der späten 60er und Vorlage für die Kinofilme – genügte es, dass an den Wänden des vorgeblichen Ostberlins Schilder mit möglichst vielen Ks, Ös, Üs und Äs auftauchen, um dem polyglotten amerikanischen Zuschauer sofort zu signalisieren, dass wir uns in Deutschland befinden. Das hart wie Hacken knallende K und die Umlaute liegen im englischsprachigen Raum bis heute auf dem gleichen hohen Klischee-Level wie das Konterfei Hitlers oder bajuwarische Beinkleider an zipfelmützigen Bierkrugstemmern. Soooo German! Weil das sehr lustig anzuschauen ist, zeigt die Soziale Plastik des Fernsehfriedhofs einen dieser Ausflüge hinter den Eisernen Vorhang jeder Vorstellungskraft.
Als der Mensch den Computer erfand, ging es von Anfang an nicht nur um die Erleichterung der Erbsenzählerei von Schlotbaronen und Pfennigfuchsern. Vielmehr träumte man davon, aus den Ariadnefäden der Vergangenheit ein Muster für die Zukunft weben zu können. Zwei Fiction-Dokus und ein Abenteuer von Dr. Kimble auf der Flucht zeigen uns drei verschiedene TV-Träume der letzten 40 Jahre aus der Welt von gestern für die Welt von morgen vor, die heute schon Vergangenheit ist.